Warum ich Yoga mache und dabei geblieben bin?

Mein Bekanntenkreis teilt sich in Menschen, die Yoga praktizieren und in die, die es nicht tun. Mit den ersteren spreche ich öfters über mögliche Kurse und den „besten“ Yogastil und die anderen fühlen sich dabei ein bisschen ausgegrenzt. „Was ist eigentlich Yoga?“ Diese Frage bekomme ich von den Nicht-Praktizierenden öfters gestellt.

Yoga ist in unserer Gesellschaft stark esoterisch besetzt. Was es ja auch ist und was viele Menschen erst mal abschreckt. Mir ging es genauso, als meine damalige Freundin 2005 nach Hause kam und meinte, sie wolle mal zu einem Yogakurs gehen. Mein erster Gedanke war „Wird sie jetzt spirituell?“ Aber irgendwie wurde ich auch neugierig und beschloss, es auch mal auszuprobieren.

Ich hielt mich eigentlich immer für ganz sportlich, aber bereits nach einer halben Stunde „Poweryoga“ war ich völlig am Ende meiner Kräfte. In mir wechselten sich zwei verschiedene Gedanken ab: „Wow, das Körpergefühl der Yogalehrerin ist echt beneidenswert“ und „Bah, das ist mir alles viel zu anstrengend“. Allerdings fühlte ich mich nach der Stunde irgendwie frisch und wie neu geboren, aber mit einem riesigen Muskelkater an völlig unbekannten Stellen meines Körper für mehrere Tage. Von Esoterik und Spiritualität war außer ein paar „OM“ am Anfang und Ende der Stunde nichts zu merken.

Ich ging immer wieder hin, wechselte später den Kurs und fühlte mich irgendwie gut dabei. Irgendwann fragte mein neuer Lehrer (Bernd) im Kurs, ob nicht jemand mit zu einem „Ein-Wöchigen-Yoga-Retreat“ in den Süden der Türkei fahren möchte. Der Preis war akzeptabel, die Türkei wollte ich schon immer mal kennen lernen und die Aussicht auf Sonne und Strand war verlockend. Bereits im Vorgespräch zur Reise erklärte uns Bernd, dass es dort nur vegetarische Küche gibt und er nicht gerne sehen würde, dass wir dort Alkohol trinken. Mh, ist ja eigentlich Urlaub, aber für eine Woche kann man ja schon mal darauf verzichten, dachte ich.

In der Türkei angekommen stellte uns Bernd den Tagesablauf vor. Zwei Mal Yoga am Tag war für mich ok, obwohl die erste Stunde um 7 Uhr morgens nicht ganz meinen Vorstellungen von Urlaub entsprach. Allerdings gab es auch abends gemeinsames Mantra singen und eine Theoriestunde am Vormittag. Das war Teils interessant, schon ein bisschen komisch und meiner Meinung nach auf den ersten Blick irgendwie was sektenartiges – Du bist Gott, Yoga ist der Weg zu sich selbst, usw.

Jetzt, nach vielen Yogastunden, Retreats und der Ausbildung zum Yogalehrer, sehe ich das anders. Yoga ist nach der Lehre die „Einheit von Körper und Geist“ oder der Weg zum „Wer bin ich?“ Im Ashram bekam ich eine Vorstellung, was damit gemeint ist. Nach 4 Wochen gesundem Leben ohne Fleisch, Alkohol, Rauchen, Kaffee, Zwiebeln, Knoblauch, Zucker – also alle Sachen, die uns schwerfällig oder nervös machen – mit viel Yoga-Praxis und ohne Ablenkung fühlte ich mich einfach viel ruhiger, ausgeglichener und in mir ruhender als ich das jemals vorher kannte.

In unserem täglichen Leben müssen wir uns ständig beschäftigen oder ablenken. Nach der Arbeit treffen wir uns mit Freunden, unternehmen was mit unserer Familie, entwickeln neue Ideen, lesen Bücher, gehen ins Theater oder schauen Filme. Das ist wichtig und sehr schön, aber wir nehmen uns daneben keine Zeit für uns, um einfach mal runterzukommen. Das ist in unserer Gesellschaft irgendwie nicht verbreitet und davor haben wir auch irgendwie Angst. Warum eigentlich?

Yoga ist heute für mich die Zeit, mal Durchzuatmen, zum Bewusstsein zu kommen und meinen Körper zu stärken und wahrzunehmen. Die Zeit, die ich mir einfach mal für mich nehme, meinem Geist eine Auszeit gönne und ich mich einfach auf Bewegungen und Atmung konzentriere.

Im Alltag gibt es immer wichtigere Sachen und ich will mir die Zeit für Yoga oft nicht nehmen. Aber dann meldet sich mein Körper und „zwingt“ mich durch Verspannungen, Kopfschmerzen oder Nervosität wieder zu praktizieren. Früher hätte ich eine Schmerztablette genommen, wäre zum Arzt gegangen oder hätte einen Johanniskraut-Tee getrunken.

Jetzt habe ich so viel Körpergefühl um Wahrzunehmen, dass ich Kopfschmerzen habe, weil ich mich den ganzen Tag – aus welchen Gründen auch immer – verkrampft habe. Und das Schöne ist, ich kann selbst etwas dagegen tun. Gerade hinsetzen, durchatmen und runterkommen.

Und was ist jetzt mit der Esoterik (= innerer, spiritueller Erkenntnisweg)? Vielleicht ist es ja genau das: runterkommen und sich ein bisschen Zeit für sich selbst nehmen. Wenn ich mir die Zeit für mich nehme, dann kann ich auch wahrnehmen, was meinem Körper und meinem Geist gut tut und was nicht, kann ich meine eigene Existenz wahrnehmen und mich selbst verwirklichen. Ehrlich gesagt, ich weiß es nicht. Ich weiß nur, dass es mir gut tut und deshalb bleibe ich auch dabei. Und wie ich heute weiß, ist das Mantra-Singen eine andere Form des Abschaltens – denn wenn ich singe, kann ich nicht gleichzeitig über etwas anderes nachdenken.